Der rituelle Übergang

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Initiation, wozu und wohin?

Immer wieder hört man unter Männern von Initiation oder Einweihung. Viele bringen den Begriff mit Ureinwohnern und primitiven Völkern in Verbindung und halten die Rituale für Überbleibsel längst vergangener Zeiten und seit der Aufklärung für überholt.

Doch in den vergangenen Jahren haben sich – ausgehend von den Autoren Robert Bly, Richard Rohr, Ken Wilber und Bill Plotkin – immer wieder Männer neuen und alten Initiationsritualen unterworfen, andere ließen sich mittels überlieferter Handlungen in Männerbünde oder mystische  Vereinigungen aufnehmen.

Trennung von den Frauen

Für die Initiation wird der Kandidat zunächst aus seiner gewohnten Umgebung herausgerissen. Oft entführen ihn die älteren Männer aus dem Haus der Mutter). Die Frauen, denen die Jungen geraubt werden, klagen zum Schein über diese Tat und verfolgen die „Entführer“ mit lautem Geschrei eine gewisse Weile.

Dann kehren sie in das Dorf zurück und warten ab bis das Ritual abgeschlossen ist. Die Kandidaten werden in der Zwischenzeit an einen unbekannten, geheimnisvollen Ort – meist in ein abgelegenes Waldstück, auf eine Insel, in eigens dafür gebaute Hütten oder eine Höhle gebracht.

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Der Schwellenraum

Die Initiationsrituale werden meist geheim gehalten. Bekannt ist jedoch, dass der Initiant meist symbolisch stirbt (Das alte Leben abschließt) und als neuer Mensch wiedergeboren wird oder aufersteht. In der Zeit zwischen Tod und Wiedergeburt befindet sich der Mensch in einem sogenannten Schwellenraum, in dem er – durch bestimmte Techniken oder manchmal auch Tränke – in einen anderen Bewusstseinszustand versetzt wird und so verändert Aufgaben lösen muss. Diese Phase kann nur Stunden aber auch Tage oder Wochen dauern.

Der Schwellenraum ist rational nicht greifbar. Man ist weder Fisch noch Fleisch. Das Alte ist nicht mehr, das neu noch nicht da. Der Schwellenraum erzeugt, wie der Franziskanerpater Richard Rohr sagt, eine Antistruktur, die unserer gewöhnlichen Struktur Richtung und Tiefe geben, und den Mann aus der ersten Lebenshälfte „befreien“ und in die zweite Hälfte führen soll.

Von Schmerzen und heiligen Wunden

Keine Initiation ohne Schmerzen und Wunden. Sie werden oft nur symbolisch dargestellt oder innerlich erlebt. Einige Kulturen oder Organisationen (etwa Jugendbanden, Burschenschaften oder sogenannte schlagende Studenten-Verbindungen) fügen den Kandidaten tatsächlich Schmerzen zu. Ein Beispiel für eine symbolisch dargestellte, einstmals schmerzhafte Handlung ist der sogenannte Wangenstreich des Bischofs während der Firmung in der katholischen Kirche.

Sinn der symbolischen Verwundung ist es, dem Kandidaten durch diesen Schmerz den Bruch mit der Vergangenheit anzuzeigen. Der symbolische Tod – oft werden die Kandidaten von einem Fisch oder einem Ungeheuer verschlungen, in der Erde oder einem Sarg begraben – kennzeichnet die Unumkehrbarkeit der Handlung und das vollkommene Ende des alten Lebens.

Einweihung in etwas Neues

Mit dem Verlassen des Schwellenraums oder der  Auferweckung, erhält oder wählt der initiierte Mann oft einen neuen Namen (Die Frauen im Dorf geben  vor, ihn nicht mehr zu kennen) oder ein äußeres Zeichen seiner neuen Stellung.

Ist die Initiation abgeschlossen, übernimmt der „neue Mann“  in der Gemeinschaft der Männer Platz – er darf entweder heiraten oder ein Haus bauen. In den Freimaurerlogen der Großen Landesloge etwa darf ein Bruder erst nach der Aufnahme zum Meister ein Amt in der Loge übernehmen

Anfang, nicht Ende

Die Initiation ist in der Regel nicht das Ende des Weges, sondern vielmehr ein Anstoß für eine tiefergehende Reifung, ein Auftrag, den neuen Platz mit der eigenen Identität zu füllen und so der Gemeinschaft zu dienen.

Weiterlesen bei:
Mircea Eliade: Das Mysterium der Wiedergeburt (nur noch gebraucht erhältlich); Robert Bly Eisenhans. Ein Buch über Männer, Rowohlt Taschenbuch, ISBN 978-3499620157. Ken Wilber, Eros, Kosmos, Logos. Eine Jahrtausend-Vision. Fischer, Frankfurt 2001, ISBN 3-596-14974-6.

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