Einfach und kontemplativ leben…
…ist schwer. Das weiß der deutschstämmige Franziskaner-Pater Richard Rohr aus jahrelanger Erfahrung. Deshalb will er den Leser in seinem 136 Seiten-Buch sanft auf dem Weg der Kontemplation, diesem Leben aus der Mitte, begleiten.
Dabei beschränkt sich sein Begriff von Kontemplation nicht auf die Gebetspraxis des Kontemplativen oder Jesus-Gebets, im englischen Sprachraum auch Centering Prayer genannt. Rohr begreift das ganze Leben vom morgendlichen Aufstehen bis zum Schlafengehen am Abend als kontemplative Praxis. Dieser spirituelle Weg „ist ein ständiges Zusammenspiel von Momenten des Staunens, auf die in der Regel ein Prozess der Hingabe an solch einen Moment folgt.“ (Seite 17)
Rohr nimmt dabei den Leser in fünf kurzen Kapiteln an die Hand und erklärt zunächst, was er unter Staunen und Hingabe versteht und was es bedeutet, sich auf die Kontemplation einzulassen. Man müsse erkennen, welchen „unbewussten Speicher an Erwartungen, Prämissen und Glaubensinhalten wir zutiefst verinnerlicht haben“, um davon das Neue unterscheiden zu können.
Das ähnelt stark der Vorstellung des heiligen Benedikt von Nursia, der die sogenannten Discretio, die Unterscheidung der Geister, in die Gedankenwelt Europas einführt und als Schlüssel zur Selbsterkenntnis und Selbsterziehung sah.
Für Pater Rohr ist wichtig, dass sich das Gebet vom „Deal mit Gott“ weg und hin zum Gebet als Weg der Transformation des Bewusstseins wandelt. Der Betende soll den Dialog mit Gott wieder aufnehmen, den Gott niemals unterbrochen hat, und ihm, Gott, so die Möglichkeit zu geben, unsere Sicht auf die Realität zu verändern.
Du hast nicht die Kontrolle
Kontemplation bedeutet für Richard Rohr das Gegenteil von Kontrolle, von inszenierten Gebeten oder Gottesdiensten, bei denen seiner Meinung nach nicht Neues entstehen kann. Es ist jener Gedanke, den er bereits in seinem Buch „Wer loslässt, wird gehalten“ detailliert dargelegt und als Lebenspraxis empfohlen hat. Nur wer sich ganz hingibt, kannsich entwickeln.
Gleichzeitig warnt der Franziskaner vor einer Überhöhung der Kontemplation. Ein Zuviel an positiven Gefühlen und Reizen könnte ebenso verblenden und einengen wie ein Zuviel der negative Emotionen. Es sei dann auch nur eine Form der Leidenschaft oder Sucht.
Meditationen, Übungen, Anstöße
In den Kapiteln eins bis drei findet der Leser 50 Impulse für Meditationen. Sie eignen sich nicht zum schnellen Konsum, sondern wollen langsam genossen oder erlitten werden. In seinen Büchern spricht Richard Rohr oft davon, dass man Texte kauen müsse, um sie sich zu eigen zu machen. Diese Texte sind solche „Speisen“.
In Kapitel vier gibt uns der Autor schließlich zwölf Übungen oder Anstöße an die Hand, mit denen wir uns dem „Projekt Kontemplation nähern können. Es sind schlichte Anleitungen zur Wahrnehmung, zum Erkennen von „Schadprogrammen“, zum Wachsam-sein oder einfach zum Schweigen.
Denken und Handeln ändern
In Richard Rohrs „Ganz Da – Einfach und kontemplativ leben“ geht es nicht darum eine neue Gebetspraxis einzuüben, sondern um eine Änderung des Denkens und Handelns. Es ist ein schwerer Weg, der leicht verständlich dargelegt wird. Dabei dient das Kontemplative Gebet als Werkzeug, mit dem alte Muster erkannt und aufgebrochen und stattdessen neue, lebensspendende Muster eingeübt werden. Richard Rohr bleibt sich dabei treu: Loslassen, die Kontrolle abgeben, Urvertrauen haben – das ist der Schlüssel zu einem erfüllten spirituellen Leben.
Fazit
Für Männer (und Frauen), die nach dem Buch „Praxis des Herzensgebets“ und einer längeren Übungsphase weitergehen wollen, ist „Ganz Da – Einfach und kontemplativ leben“ die ideale Ergänzung. Für jene, die Richard Rohr noch nicht kennen, ist das Buch ein guter Einstieg in Richards Gedankenwelt und zugleich in eine neue Lebenspraxis.
Ganz Da – einfach kontemplativ Leben, Richard Rohr, Claudius Verlag, ISBN 978-3-532-62823-2, Paperback, 136 Seiten, 15 Euro.
Anmerkung: Diese Rezension wurde vom Claudius-Verlag unterstützt. Vielen Dank dafür.