› Auf dem Weg zur Einheit, zum Einssein stehst Du Dir oft selbst im Weg. Statt auf Deine Kraft und Deine Talente zu vertrauen, meinst Du, alles neu, alles größer und schöner denken und planen zu müssen.
Du konstruierst neue Welten und legst Dir dafür selbst Ketten an: Du folgst nicht Deinem Weg, sondern vertraust den Vorstellungen anderer – der Freunde, Kollegen, Familie oder Gesellschaft. Dabei glaubst Du, dass alles so kommen wird, wie Du oder die anderen es sich vorstellen.
Doch oft endet diese Reise, die nicht Deine ist, schmerzhaft, ungeplant, abrupt und Du wirst eines Besseren belehrt.
Du lernst, dass das Leben nicht planbar ist. Oder besser: Dass es schon immer einen Plan der besonderen Art gegeben hat, niedergeschrieben in Deinen Talenten und Stärken, Deinen Fehlern und Schwächen. Sie sind die Landkarte, das Navi für Deine Reise. Der Wegweiser zu Deinen Träumen.
Doch weil Dir das Vertrauen fehlt in die Geschichte, die Gott, die die Schöpfung für Dich geschrieben hat, lebst Du den Traum der anderen.
Dieses Vertrauen neu zu lernen, ist Deine Aufgabe. Du musst den unzerstörbaren Kern finden, der Dich mit allem verbindet und der alles mit Dir verbindet. Dann kannst Du Dich fallen lassen und Dein Traum lebt Dich.
Die Reise dahin führt hinab in die Dunkelheit, zu den Schatten, die Deine Seele umhüllen. Sie musst Du ebenso aufnehmen wie das Licht. Du musst Dich Deiner Leichtigkeit ebenso hingeben, wie Deiner Schwere, wie Rainer Maria Rilke es in seinem Gedicht schreibt:
Wenn etwas mir vom Fenster fällt
(und wenn es auch das Kleinste wäre)
wie stürzt sich das Gesetz der Schwere
gewaltig wie ein Wind vom Meere
auf jeden Ball und jede Beere
und trägt sie in den Kern der Welt.
Ein jedes Ding ist überwacht
von einer flugbereiten Güte
wie jeder Stein und jede Blüte
und jedes kleine Kind bei Nacht.
Nur wir, in unsrer Hoffahrt, drängen
aus einigen Zusammenhängen
in einer Freiheit leeren Raum,
statt, klugen Kräften hingegeben,
uns aufzuheben wie ein Baum.
Statt in die weitesten Geleise
sich still und willig einzureihn,
verknüpft man sich auf manche Weise, –
und wer sich ausschließt jedem Kreise,
ist jetzt so namenlos allein.
Da muss er lernen von den Dingen,
anfangen wieder wie ein Kind,
weil sie, die Gott am Herzen hingen,
nicht von ihm fortgegangen sind.
Eins muss er wieder können: fallen,
geduldig in der Schwere ruhn,
der sich vermaß, den Vögeln allen
im Fliegen es zuvorzutun.
Rainer Maria Rilke, im September 1901