Literatur : Junge weiße Männer

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Witzel, Jahrgang 1982 und damit 35 Jahre jünger als ich, schreibt mir aus dem Herzen

Noch ein Buch zum "weißen Mann"?

Brauchen  wir noch ein Buch über den „weißen Mann“? Das war die Frage, die sich mir stellte, als das Buch bei mir eintraf. Doch als ich es begonnen hatte, konnte ich es nicht mehr aus der Hand legen .

Julian Witzel bereitet das ausgelutsche und von vielen Floskeln verunstaltete Thema humorvoll und vielen Beispielen auf. Seine Sprache ist erfrischend und unterhaltsam. Viel wichtiger jedoch: Julian Witzel, Jahrgang 1982 und damit 35 Jahre jünger als ich, spricht mir aus dem Herzen.

Die Zerrissenheit der Männer heute

In seinem Buch spiegelt sich die Zerrissenheit der Männer wieder, die heute leben wollen/sollen/müssen – inklusive MeToo, neuer Männlichkeit, Sexualität, Karrieredruck oder -knick, Elternzeit und Feminismus. Und die gleichzeitig nicht alles verdammen wollen, was sie bisher er- und gelebt haben.

Nicht weil alles gut war, sondern weil auch viel Gutes dabei war. Und weil man sich auch zu dem bekennen darf, was früher – also in einem anderen Licht betrachtet – normal war. Witzel bekennt sich zu seiner – inzwischen teilweise verfemten Sozialisation. Zum Aufwachsen unter Männern (und Frauen), für die Inklusion entweder ein Fremdwort oder eine leere Worthülse war. Für die Varianten von sexueller Orientierung bestenfalls gleichgültig akzeptabel oder völlig egal waren. Oder die sie mit einer Mischung aus Ignoranz oder pseudo-tolerantem  „schwul aber nett“ hinnahmen.

Humorvoll und sehr persönlich

In humorvollen, sehr persönlichen Episoden kommt alles auf den Tisch, was das Heranwachsen einen Jungen zum Mann bisher ausmachte  – von den vergeblichen Versuchen der Kontaktaufnahme zu Mädchen auf dem Schulhof über Selbstbefriedigung bis hin zu Pornokonsum („Darüber muss mehr gesprochen werden.“) Der 40 jährige, inzwischen zweifache Vater schont weder sich noch die anderen Männer, wenn er seinen Blick auf das „Mannsein“ wirft. 

Deshalb überrascht es nicht, dass am Ende des Buches kein fertiges Bild vom „neuen Mann“ steht.  Zu unterschiedlich sind die Stadien der persönlichen Entwicklung, die Bereitschaft sich zu verändern, als dass es einen Prototypen gebe, den zu beschreiben irgendjemand in der Lage wäre.

Das Bekenntnis zum Scheitern befreit

Freimütig bekennt Julian Witzel sein Versagen an bestimmten Punkten. Zwar fordert er Inklusion, Gleichberechtigung und Partnerschaftlichkeit, gleichzeitig ist Scheitern erlaubt. Witzel ist kein Missionar. Sein Buch gibt Freiraum und macht Mut, es einfach mal auszuprobieren. Und er fordert, dass Regeln oder Vereinbarungen neu verhandelt werden, wenn sich  die Bedingungen ändern und nennt als Beispiel die Entscheidung zwischen Elternzeit und Vollzeitarbeit. Überhaupt: Flexibilität ist Witzels Stichwort. Nichts ist in Stein gemeißelt. Alles kann und sollte jederzeit überprüft und gegebenenfalls verändert werden. Ausnahme: Bei Sexismus, Benachteiligung und Ausgrenzung kennt er kein Pardon

Der Weg ist noch weit

Und so schält sich immer deutlicher die Botschaft dieses sehr unterhaltsamen und tiefgründigen Buches heraus: Der junge weiße Mann, Julian Witzel zählt sich selbst offenbar auch noch dazu, hat noch einen langen Weg vor sich. Auch weil er  – das macht Julian Witzel deutlich – auf den Schultern seiner Väter und Großväter steht. Deren Erbe auszuschlagen oder gar zu verdammen, ist der Autor nicht angetreten. Vielmehr plädiert er dafür, sich in vollem Umfang zu seinen Ursprüngen zu bekennen, sie gleichzeitig aber auch kritisch zu hinterfragen.

Auch weil er  - das macht Julian Witzel deutlich - auf den Schultern seiner Väter und Großväter steht.

Kein Anbiedern an den Mainstream

Dabei hält der Autor ans einen hohen Ansprüchen an den „neuen Mann“ fest. Da ihm jedoch alles Bilderstürmerische, Missionarische fremd ist, er sich weder mit der Gender-Bewegung noch mit dem Extrem-Feminismus gemein macht, der alles Männliche verteufelt und degradieren will,  erscheint das Ziel – die Herausbildung einer neuen Männlichkeit – erstrebenswert und machbar. Damit schreibt er allen Männern ist Stammbuch, dass weder Verweigerung noch unterwürfige Kapitulation zu Ziel führen, sondern nur stete Veränderung. Die jedoch schmerzhaft sein und bleiben wird.

Fazit

„Junge weiße Männer“ ist mitnichten „noch ein Buch“ über den „weißen Mann“. Es ist ein erfrischend vernünftiges, humorvolles und selbstironisches Buch eines Mannes, der spürt, wer er sein und werden will. Der diesem Gefühl folgt und verspricht, dass es sich lohnt, dran zu bleiben, auch wenn es anstrengend ist. „Junge weiße Männer von Julian Witzel ist ein äußerst lesenswertes Buch  – für junge Männer und Alte.

Junge weiße Männer, von Juklian Witzel, 200 Seiten, Paperback, erschienen im Riva Verlag, ISBN 978-3-7423-2083-4, 12 Euro

Anmerkung: Das Buch „Junge weiße Männer“ von wurde mir kostenlos vom Riva-Verlag zur Rezension zur Verfügung gestellt. Vielen Dank für diese Unterstützung.