
Im Boden versinken
Es läuft einem heiß und kalt über den Rücken, man möchte am liebsten in einem Loch im Boden versinken, unsichtbar werden. Das ist Scham, ein mächtiges Gefühl, das wohl die meisten von uns kennen. In seinem Buch „Scham – wie ein machtvolles Gefühl unser Leben prägt“ zeigt der Journalist Matthias Kreienbrink wie Scham entsteht, wie sie unser Leben beeinflusst. und wie wir lernen können, mit ihr zu leben.
Woher kommt die Scham?
Kreienbrink beginnt am Ursprung: Er beschreibt, wie Scham entsteht und was sie bewirkt, ja sogar wozu sie nützlich sein kann. Er zeigt auf, dass es Scham schon immer geben hat, das sie sich jedoch am sogenannten Zeitgeist oder dem Selbstbild einer Gruppe orientiert: Im Mittelalter schämte man sich für andere Dinge als heute. Kinder schämen sich anders als Jugendliche oder Erwachsene. Jeder Kulturkreis hat eigene Schamgrenzen und jeder Mensch sowieso. Im beruflichen Umfeld gelten andere Dinge als beschämend als im Freundeskreis. Und in sozialen Medien erst recht.
Selbst Teil des Wechselspiels
Das ist alles sehr klug und leicht lesbar geschrieben, ohne dabei das Niveau zu verlassen, das das Thema braucht: Der Autor bleibt immer dicht am Gefühl, wird dabei aber nicht effekthascherisch oder reißerisch. Dieses Buch ist persönlich, detailliert und wird in einigen Passagen schmerzhaft. Etwa wenn der Leser sich beim Abc der Beschämung selbst begegnet, bei Worten, die man benutzt, Ausgrenzungen, die man vollzieht oder selbst erfährt. Das alles bleibt wohldosiert und vermittelt doch eine Ahnung, wie sehr man selbst in das Wechselspiel von schämen und beschämen eingebunden ist.
Etwa bei Ausgrenzung in Schule und Beruf – heute Mobbing genann. Oder wenn man sich für den eigenen Körper schämt, weil man nicht sportlich ist, kein Yoga, Krafttraining macht, oder den Marathonlauf nicht schafft. Oder weil man nicht dem Schönheitsideal entspricht, das in den (sozialen) Medien transportiert wird.
Auswege aus der Scham
Doch Matthias Kreienbrink wäre ein schlechter Journalist, wenn er in seinem Buch keine Auswege aus der Scham aufzeigen würde. Und hier wird der Autor sehr persönlich. Er thematisiert seine Angststörung und wie er damit umging:
Zunächst einmal ließ er den Gedanken zu, dass er nicht die Kontrolle über sein Leben hat und dass er diese Kontrolle vielleicht nie haben wird. Dieser Schritt ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil diese Kapitulation unter anderem die Zugangsvoraussetzung für alle sogenannten 12-Schritte-Gruppen wie etwa die Anonymen Alkoholiker (AA) oder der Emotions Anonymous (EA) ist, einem der erfolgreichstemn Selbsthilfeprogramme weltweit.
Matthias Kreienbrink stellte sich der Scham, dies auch gegenüber Familie, Freunden und Kollegen offen zu benennen und um Hilfe zu bitten. Und er suchte sich professionelle Hilfe. Und so entsteht zum Ende des Buches eine ziemlich genaue Beschreibung, wie man professionell mit Scham umgehen, ihre Folgen mildern und Strategien entwickeln kann, um besser mit diesem sehr mächtigen Gefühl zu leben.

Fazit
Und auch wenn er kein Patentzrept hat, macht das Buch von Matthias Kreienbrink Hoffnung. Die Erfahrungen des Autors spornen an und er vermittelt, dass es – mit Arbeit an sich selbt – gelingen kann, dass die Scham nicht das ganz Leben beherrscht, sondern wir ein gesundes Verhältnis zu ihr finden können. Insofern kann ich allen, die sich beschämt fühlen, gemobbt oder ausgegrenzt werden, dieses Buch sehr ans Herz legen. Allen andere empfehle ich es als Einblick in ein mächtiges Gefühl.
Scham – Wie ein machtvolles Gefühl unser Leben neu prägt; Matthias Kreienbrink, Kösel Verlag, ISBN 978-3-466-34837-4, Preis 22 Eur0
Anmerkung: Das Buch „Scham – wie ein machtvolles Gefühl unser Leben neu prägt“ wurde mir vom Kösel Verlag kostenlos als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Ich bedanke mich beim Kösel Verlag für die Unterstützung meiner Arbeit.