Literatur: Meister Eckhart

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Wer war Meister Eckhart?

Wer war Meister Eckhart?

Wer war Meister Eckhart? Wie wurde aus dem Landadligen einer der bedeutendsten Mystiker seiner Zeit? Wie prägte ihn das Mittelalter? Und warum ist er heute noch so einflussreich? Diese Fragen beantwortet der Amerikaner Joel F. Harrington in der neuen Biografie „Meister Eckhart“.

Persönliches gibt es kaum

Doch wie beschreibt man einen Mann und seine Reifung, wenn der keine Tagebücher oder persönlichen Aufzeichnungen hinterlassen hat? Harrington greift auf erhaltenen Predigten und theologische Erörterungen Eckharts sowie auf Erzählungen anderer über den Adelssproß zurück, der als Eckhart von Hochheim geboren wurde. Der Autor kombiniert sie mit den neuesten Erkenntnissen über die verkannte Epoche des Hoch- bis Spätmittelalters. So entsteht ein farbiges und differenziertes Bild dieses großen Mystikers. ->

Das "andere" Mittelalter

Fasziniert folgt der Leser dem Autor in die Klöster und theologischen Schulen, wird von ihm nicht nur durch das mittelalterliche Thüringen, Köln oder Paris geführt, sondern erfährt auch etwas über die widerstreitenden Gruppen von Theologen und Geisteswissenschaftler dieser geistig und spirituell fruchtbaren Epoche. Manchmal vergleicht Harrington den Wissensdurst der mittelalterlichen Religionswissenschaftler mit dem der heutigen Naturwissenschaftler: Beide testen die Grenzen ihrer Welt aus – doch zu Eckharts Zeiten waren diese Grenzen eng, von Rom kontrolliert und ein kühner Denker schnell als Ketzer verdammt.

Von der Scholastik...

In den vier großen Abschnitten dieser Biografie

  • Die Welt loslassen – Der Mönch
  • Gott loslassen – Der Gelehrte
  • Sich selbst loslassen- Der Prediger
  • An der Religion festhalten

vollzieht Harrington Reifung und Formung des Mystikers nach. Der lernt und nutzt zunächst die klassischen Methoden, die der Dominikanerorden lehrt und anwendet. Bei dieser Beschreibung baut Harrington die aktuellsten Forschungsergebnisse über das Zusammenspiel mittelalterlicher Hochschulen und Klöster auf der einen und gesellschaftlicher und politischer Instanzen auf der anderen Seite ein und ordnet seinen Protagonisten damit theologisch, politisch und spirituell ein.

... zum gewagten Denken

Dabei macht er besonders im 2. Teil (Gott loslassen) deutlich, wie sehr sich das Gottesbild Meister Eckharts verändert und damit auch dessen Spiritualität. Der Dominikaner verlässt die Vorstellung von der vertikalen Annäherung an Gott – also den Aufstieg aus der Unwürdigkeit hinauf zu Gott – zugunsten eines direkten, aber nicht leichter umsetzbaren Zugangs. Eckhart fordert, Gott und alle Bilder bzw. Vorstellungen von ihm loszulassen.

Gefährliche Mischung

Auch Meister Eckhart lässt Gott los – das meint, er trennt sich von seinen menschengemachten Gottesbildern und setzt auf die Intuition. Den Wechsel in der Methode der Annäherung an Gott begründet Eckhart damit, dass alle menschlichen Vorstellungen von Gott zu klein seien, um Gott erfassen oder auch nur beschreiben zu können. Sein Ziel scheint zunehmend in den Predigten durch, die Harrington offenichtlich sehr genau studiert hat. Eckhart beschreibt die „Gottesgeburt“ im Menschen als Ziel, eine innere Vereinigung von Gott und Mensch, die schon im Diesseits möglich ist. Da Meister Eckhart diese Vereinigung – nach beständiger Selbstprüfung und spiritueller Übung – für jeden und ohne Vermittlung einer dritten Instanz für möglich hält, gerät er schon bald in Konflikt mit der Amtskirche und dem Vatikan. Es ist die Zeit der Päpste in Rom und ihrer Gegenpäste in Avignon. Zudem jagt die Inquisition Abweichler und Meister Eckhart bleibt nicht verschont.

Zurückhaltende Deutung

Während Joel F. Harrington die geistige und spirituelle Entwicklung aber auch die Verfolgung durch seine Feinde und den Papst in Avignon, bis hin zur Verurteilung und dem Bann gegen ihn und einige Schriften sehr ausführlich in drei der vier Abschnitte schildert, fällt die Deutung des Einflusses der Eckhartschen Theologie und Mystik auf die nachfolgenden Jahrhunderte bis heute vergleichsweise schmal aus. ->

Wenig Hinweise in die Moderne

Lediglich in der Einleitung und im Schlussteil zeigt er Verbindung zum Protestatismus, dem Panentheismus, zu C.G. Jung, dem Hinduismus, Islam oder anderen Religionen / Konfessionen auf. Auch den Einfluss auf moderne Mystiker wie Thomas Merton oder Richard Rohr macht Harrington deutlich. Warum er hier nicht mehr wagt, erschließt sich mir nicht. Handwerkszeug und Wissen hätte er dazu sicher gehabt.

Fazit

In seinem Buch „Meister Eckhart – der Mönch, der die Kirche herausforderte und seine eigenen Weg zu Gott fand“ nimmt Joel F. Harrington den Leser mit  auf eine spannende Reise durch das mittelalterliche Europa, einen Kontinent im Auf- aber auch im krisenhaften Umbruch und zeichnet so ein eindrucksvolles Bild dieser oft verkannten Epoche. Gleichzeitig arbeitet der Autor die spirituelle Entwicklung seines Protagonisten heraus: Der befreit sich in den mehr als 40 Jahren seines theologischen Lebens immer mehr aus den Zwängen und der Enge seiner Kirche und legt damit die Grundlagen für das sprirituelle Leben bis in die Neuzeit.

Dass diese Bedeutung Meister Eckharts nicht stärker herausgearbeitet, sondern gefühlt eher nur zusammenfassend beschrieben wird, ist bedauerlich. Auch wenn dem Autoren hier sicher sehr viel mehr möglich gewesen wäre, kann ich das Buch nicht nur spirituell Suchenden sehr empfehlen.

Meister Eckhart von Joel F. Harrington, Siedler Verlag, 544 Seiten, ISBN 978-3-8275-0095-3, 28 Euro

Anmerkung: Diese Rezension ist mit freundlicher Unterstützung des Siedler Verlages entstanden, der mir das Buch als kostenloses Rezensions-Exemplar  überlassen hat. Vielen Dank für dsiese Unterstützung.

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